Erfurter Uraufführung: Der Cocktail klingt, wenn man trinkt
Michael Helbing 07.03.2020 Thüringer Allgemeine
(...) In der ambientebeleuchteten Halle 6 dirigierte der Komponist Leo Sandner unter anderem die Uraufführung seiner insgesamt halbstündigen Programmmusik, die als „musikalische Cocktailparty“ daherkam.
(...) Mit seinem aus zwanzig Musikern der Staatskapelle Weimar bestehenden Orchester machte er hier ein sich wohlig in den Körper schleichendes Gift hörbar, wie in einem Klassiker des alten Avantgardekinos. Sandner interpretierte besonders hier, und das ist doch einigermaßen neuartig, weniger ein Getränk als dessen Wirkung.
In anderen Fällen ließ er sich eher von dessen Titel oder Kontext inspirieren. „Die Tränen des Harlekins“ zum Beispiel reimt sozusagen das bitter grundierende Drittel des Cocktails, nämlich Wermut, auf Schwermut: übertragen in die Seelentiefe von Bass und Celli, derweil Geigen, Bläser und Marimbaphon darüber munter zu tänzeln versuchen. Der Cocktail „Nichts!“ soll dem Prototyp des mäßig erfolgreichen, aber unverdrossenen Schürzenjägers gewidmet sein, weshalb zu Beginn und am Ende zur Jagd geblasen wird.
Die sechs Vier- bis Viereinhalbminüter rahmten an diesem Abend Sandners „Kontraste“ für Altsaxophon und Orchester, die die Thüringen Philharmonie Gotha bereits 2014 in der Predigerkirche Erfurt uraufführte. (...)
Dabei offenbart diese, sofern man nicht abgelenkt ist, eine gewisse Raffinesse. Sie nimmt, von einer Beethoven-Anleihe im kastagnettengetränkten spanischen Finale abgesehen, Motive der musikalischen Moderne, zitiert oder parodiert sie, mixt sie mitunter neu und frisch zusammen.
Und seine dem sinfonischen Jazz verpflichteten „Kontraste“, in denen Roger Hanschel sein Altsaxophon behutsam, aber zielstrebig von hinten durch die Orchesterbrust drückte, um die Sinfoniker in die Jazzformation zu treiben, kamen in diesem Umfeld als hochprozentiger Longdrink daher.
Eine ungewöhnliche Sinfonie
Dieter Albrecht 25.11.2011 Thüringer Allgemeine
Es begann also mit Sandners "Vorspiel I". Ein trotz zeitgenössischer Tonsprache in die Ohren gehendes und in die Herzen treffendes Stück. Auf Glocken und Gong folgen Unheil kündende schleichende chromatische Figuren, mehrfach energetische Ausbrüche und erst kurz vorm Schluss sich schrill verschärfende Dissonanzen – als ob das Universum angstvoll erzitterte. Am Ende geistert der Glockennachhall durch den Raum. Musik, die nicht zuerst intellektueller Durchdringung bedarf, sondern das Gefühl direkt und nachhaltig anspricht.
Viel Beifall für große Musik-Kunst
Peter A. Kaminsky 26.11.2011 Norddeutsche Rundschau
Keineswegs als Lückenfüller präsentierte das Orchester das Auftragswerk "Vorspiel I" von Leo Sandner, das erst am Abend zuvor in Gotha seine Welturaufführung erlebt hatte. Sandner orientiert sein "Vorspiel" an wiederkehrenden rhythmischen und melodischen Mustern, greift zu überraschenden Crescendi, setzt abrupte Brechungen ein. Atonales gibt es kaum. Auch der traditionelle Schlussakkord ordnet sein Werk eher einer sehr gemäßigten Moderne zu. Was es da wohl als "Hauptspiel" und "Nachspiel" gibt!
Gothaer Orchester beeindruckte in der Margarethenkirche
Julia Stadter TLZ-Kultur 25.11.2011
Das Auftaktkonzert war von trüben Tönen geprägt: Sandners "Vorspiel I" ist eine atmosphärische Komposition, in deren gedämpften, dunklen Klangbild sich eine aufsteigende Linie zum Kernmotiv erhebt. Für den Sakralbau konzipiert, entfaltete das Werk in der Margarethenkirche große Wirkkraft. Denn der Maestro baute, trotz unsauberem Violinspiel, in den wiederkehrenden, von Düsternis geprägten Teilen große Spannung auf.
Wo sind sie hingegangen
Horst Gröner Gothaer Tagespost 25.11.2011
Begonnen hatte das Konzert mit der Uraufführung eines Auftragswerkes, das die Thüringen Philharmonie an den 1965 geborenen Erfurter Komponisten Leo Sandner vergeben hatte.
In tonaler Sprache gestaltete er dieses "Vorspiel I". Sandner hatte eingehend die die Akustik der Margarethenkirche studiert, damit alle Instrumentengruppen in seinem Werk transparent zu hören sind. Dies ist ihm bestens gelungen, sodass eine Komposition zu hören war, die einerseits dem Zeitgeist, andererseits dem Anspruch einer fließenden, tiefgreifenden Musik entsprach (...)
Großer Beifall zeigte, dass dieses moderne Stück beim Publikum seine Wirkung nicht verfehlt hatte.
Drei Perlen der Tonkunst
Dieter Albrecht 27.01.2012 Thüringer Allgemeine
Und wieder boten die "Dialoge" drei Perlen der Tonkunst. Ja, drei. Denn auch das "Vorspiel II", eine Auftragskomposition des Erfurters Leo Sandner, darf man unter Vorbehalt dazu zählen. Unter Vorbehalt, weil ohne zeitlichen Abstand von Generationen der dauerhafte Wert eines Kunstwerks kaum zu beurteilen ist.
Da in dieser Spielzeit Schubert-Lieder im Mittelpunkt stehen, war es Sandners Auftrag, ein Werk zu schaffen, das sich auf Schubert bezieht. Entstanden ist ein packendes Musikstück, dessen innere Entwicklungen zum Hinhören zwingen, statt sich aufs formale Experimentieren mit Unerwartetem zu beschränken. Reizvolle Klangkombinationen, dazu Melodiebewegungen, die sich dem musikalischen Kurzzeitgedächtnis einprägen, alles eingebettet in ein warm getöntes Streicherlegato - Gegenwartsmusik, die nicht allein den Intellekt anspricht, sondern auch das Gefühl. Hier und da bricht ein Sonnenstrahl in die düster-schwermütige Gedankenwelt ein, worauf bald schneidende Dissonanzen das Idyll zerstören. Später dann bukolisch-anmutige Holzbläserfiguren, doch kurz darauf scheint das Stück wie eine offene Frage im Ungewissen zu zerfasern. Sehr beeindruckend dargestellt wurde das von den Thüringen-Philharmonikern unter Juri Lebedew.
"Ach, die wahre Herzenskunde"
Horst Gröner Gothaer Tagespost 27. Januar 2012
Begonnen hatte der Konzertabend mit der Uraufführung eines weiteren Werkes des Erfurter Komponisten Leo Sandner. Sein "Vorspiel II" erwies sich als eine Mischung düsterer Akkorde und mächtiger Orchestervariationen, die immer wieder gleichsam zu einer tonalen Rückbesinnung führten, sphärische Klänge der Streicher wechselten mit Einsätzen des zahlreich vertretenen Schlagwerkes ab, bis das Stück fast abrupt und unerwartet endete. Vielleicht verwies dies ja schon auf die kommende Uraufführung beim nächsten Konzert, bei der eine sinngemäße Fortführung erwartet werden könnte. Leo Sandner konnte sich jedenfalls über einen langen freundlichen Beifall persönlich bedanken.
"Klanglich effektiv aufgefächert"
Dieter Albrecht 20.04.2012 Thüringer Allgemeine
Mit Leo Sandners "Vorspiel III", einem weiteren Stück aus dem Zyklus der Auftragskomposition zum Jubiläumsjahr der Thüringen-Philharmonie, begann am Mittwochabend das dritte der vier "Dialoge"- Konzerte in der Margarethenkirche: Ein klanglich wie rhythmisch kontrastreiches Stück von kraftvoll-trotzigem Charakter, das zusammen mit der zum Schluss erklingenden Mozart-Sinfonie den "männlich"-dramatischen Rahmen bildete um die "weiblich"-lyrische Mitte mit Schubert-Liedern.
Hier muss bekräftigt werden, was bereits zum "Vorspiel II" zu sagen war: Die Musik zieht sich, im Gegensatz zu vielen anderen zeitgenössischen Werken, nicht ins rein Intellektuell-Konstruktive zurück, sondern stellt die äußere Form in einen glaubhaften emotionalen Kontext.
Mit dem 4. "Dialoge"- Konzert endete nach drei Jahren eine außergewöhnliche Reihe
Horst Gröner Gothaer Tagespost 19.05.2012
Begonnen hatte der Konzertabend mit der letzten Uraufführung des Erfurter Komponisten Leo Sandner. Sein "Vorspiel IV" wollte das Zitat Schuberts thematisieren, in dem dieser schwankend sich die Frage stellte, ob er “essen solle oder nicht". Geheimnisvoll gezupfte Töne der tiefen Streicher gaben die Grundstimmung vor, und diese verschränkte Abfolge von vier Tönen in einem ständigen Auf und Ab zog sich durch das gesamte Stück.
Von allen vier in den letzten Monaten erlebten Vorspielen war dies die konsequenteste Umsetzung einer Idee, mit instrumentalen Ausbrüchen wie mit verhaltenen Effekten quer durch alle Instrumentengruppen. Herzlichen kräftigen Applaus gab es für den anwesenden Leo Sandner, der sich auch zu Recht bei Dirigent und Orchester für die eindrucksvolle Wiedergabe bedanken konnte.